Von Simon Freund
Keine Zeit, die Welt zu retten
In unserem CO₂free Blog schreiben regelmäßig Menschen, denen Klimaschutz am Herzen liegt. Die Bloggerinnen und Blogger schreiben ihren Beitrag aus ihrer persönlichen Perspektive.

Keine Zeit, die Welt zu retten
Ich war 16, als „Eine unbequeme Wahrheit“ von Al Gore in die Kinos kam. In dem Film warnt der ehemalige Vizepräsident der Vereinigten Staaten die Welt vor dem Klimawandel und macht darauf aufmerksam, dass die Menschheit mit ihren Abgasen die Zusammensetzung der Atmosphäre verändert – mit verheerenden Folgen.
Der Film war der erste und letzte Film, den ich gemeinsam mit meiner Mutter im Kino gesehen habe und er veränderte meine Weltsicht mit einem Schlag.
Seit ich denken kann, hatte meine Mutter ihren eigenen Bioladen. Die Idee von Umweltschutz und Nachhaltigkeit war mir also nicht neu. Eher das Gegenteil war der Fall: Ich wurde so sehr mit Ideen für die Weltrettung und gesunder Ernährung bombardiert, dass ich – anders als viele jüngere Menschen heute, die Lemonaid oder Club Mate trinken, um sich abzugrenzen – Coca Cola getrunken habe, um zu rebellieren, weil es bei uns zu Hause nur Bionade oder Wasser gab.
Dennoch: Der Film von Al Gore ließ mich nicht los und noch auf dem Nachhauseweg sagte ich meiner Mutter, dass ich etwas tun werde; dass ich, Simon Freund, die Klimakrise bekämpfen werde.
Kurze Zeit später gründete ich mein eigenes Modelabel SIMON&ME. Auch wenn der Film von Al Gore große Wellen schlug, war zu der Zeit der Kanon in der Gesellschaft zum Großteil immer noch: „Was bringt es, wenn ich meine Glühbirne auf eine Energiesparlampe wechsle, wenn der Rest es eh nicht tut?“ Meine Antwort darauf: „Ich tue es, also tu du es auch – Du (ME) und Ich (SIMON) – gemeinsam gegen die globale Erderwärmung.“ Daher der Name. Ich entwarf meine erste Kollektion und ließ diese über eine Firma in der Schweiz in China produzieren. Der Produktionsort stieß mir zwar übel auf, aber was half es, wenn sonst keiner in der Lage war, meinen Vorstellungen gerecht zu werden. Schließlich musste es schon eine aufwendig produzierte Kollektion werden, um überhaupt Aufmerksamkeit zu bekommen für mein Anliegen.
Was mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst war, ist das Konzept von Konsequenz – was später zu einem der Leitfäden meines Lebens werden sollte und mich seitdem regelmäßig an die Grenzen meiner Selbst führt.
Im Grunde war meine erste Kollektion kein großer Erfolg. Dank meiner Ausdauer, meiner Motivation und der Unterstützung meiner Freunde und Familie schaffte ich es dennoch, genügend Produkte zu verkaufen und neue zu produzieren. Ich eröffnete einen Online Shop, überzeugte die ersten Läden, meine Sachen mit in ihr Sortiment aufzunehmen und eröffnete schließlich meinen eigenen Store in Berlin.
Ich hörte auf, meine Kollektion in China zu produzieren und bestellte meine Rohware aus biologischer Baumwolle, fair produziert bspw. aus Indien oder Portugal und ließ diese mit einem als umweltfreundlich kommunizierten Verfahren in Deutschland bedrucken.
Dennoch war da etwas, das mir weiterhin missfiel und viele Jahre konnte ich es nicht wirklich benennen. Ich machte einfach weiter.
Heute ist mir klar, dass die Idee, den Klimawandel mit Konsum zu bekämpfen, ziemlich dumm war, aber damals dachte ich eben, der Zweck heilige alle Mittel und umweltfreundliche Produkte seien die besseren Produkte.
Nach etwa fünf Jahren in der Modeindustrie entschloss ich mich, nur noch in Deutschland zu produzieren und machte damit den ersten konsequenten Schritt von vielen. Zu dem Zeitpunkt hielten mich alle für bescheuert, weil es viel zu teuer sei und sowieso nicht möglich, genügend Produzenten zu finden. Niemand würde sich dafür interessieren. Wenige Jahre später fingen auch größere Firmen an, mit lokal produzierten Produkten zu werben, und auf einmal war alles nicht nur umweltfreundlich, sondern auch lokal produziert. Die Leute kauften und kauften und mir wurde endlich klar, dass wenn ich mein Ziel, den Klimawandel zu bekämpfen, konsequent verfolgen wollte, jede Form von Konsum, egal wie lokal oder nachhaltig, zu eben diesem Problem beiträgt und es andere Wege geben muss, mein ursprüngliches Ziel zu erreichen.
Mit 25, also ca. 10 Jahre nachdem ich die Idee gefasst hatte, mit Mode auf den Klimawandel aufmerksam zu machen, bin ich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich konsequent. Ich schließe meinen Laden in Berlin und hänge mein Label, was so lange mein Lebensinhalt war, an den Nagel und entscheide mich, mein Ziel fortan als Künstler weiterzuverfolgen. Ohne Produkte zu produzieren, die gekauft werden müssen. Ohne einem Markt gerecht zu werden, dem ich sowieso nie zugehörig sein wollte. Ohne eine Firma zu leiten, die nur nimmt: Zeit, Geld und Energie.
Das üble Gefühl ist trotzdem nicht weggegangen. Zwar bin ich seitdem konsequenter und kaufe nur das, was ich wirklich brauche. Ich fotografiere alles, was ich besitze und stelle es auf meine Website. Und ich mache regelmäßig in meiner künstlerischen Arbeit auf unseren übermäßigen Konsum aufmerksam – dennoch sehe ich die Lösung nicht, oder noch nicht.
Solange wir all unser Handeln selber in das Licht rücken, in dem wir es sehen wollen, solange wir uns nur dann uns selber stellen, wenn es für uns bequem ist, wird sich nicht viel ändern.
Manchmal stelle ich mir die Frage, ob ich nicht einfach weggelaufen bin, als ich mein Modelabel eingestellt habe, ob es nicht doch sinnvoll wäre, eine grüne Alternative zu sein zu dem, was es bereits gibt. Dann meldet sich die Konsequenz und sagt mir, dass jedes Produkt
ein Produkt zu viel ist und dass, wenn überhaupt, weniger produziert und weniger konsumiert werden muss.
Seit Jahren trage ich daher jeden Tag das gleiche Outfit, ich benutze reines Natron als Deodorant, wasche mit Waschsoda und die wenigen Dinge, die ich kaufe, kaufe ich natürlich trotzdem nachhaltig und lokal produziert. Sofern möglich. Aber erstaunlicherweise ist es fast immer möglich.
Tatsächlich glaube ich, dass, wenn alle Menschen so konsumieren würden wie ich, die Welt ein nicht unbedingt besserer, aber zumindest nachhaltiger und konsequenter oder auch logischer Ort wäre. Wenn jeder Mensch nur das besitzen würde, was er auch fein säuberlich fotografiert und für alle sichtbar online stellt. Wenn jeder Mensch nur das benutzen würde, was er wirklich braucht.
Auch wenn ich den Traum meines Modelabels aufgegeben habe, habe ich nicht aufgehört zu träumen. Ich glaube daran, dass wir die Welt in unseren Händen haben und jeden Tag darauf Einfluss nehmen können. Wenn wir nur konsequent genug sind mit uns selbst.
Eines der fundamentalen Probleme ist allerdings, dass wir immer noch den falschen Idealen hinterherlaufen, uns an Reichtum anderer ergötzen und ständig alles haben wollen, ohne über die Konsequenzen für andere und für unseren Planeten nachzudenken. Das Internet ist dabei keine große Hilfe, auch wenn es uns durchaus helfen könnte, die Probleme der Menschheit zu lösen. Dennoch hat keiner genügend Zeit, um die Welt zu retten. Aber alle haben genügend Zeit, sich eine Welt, die so gar nicht existiert, auf ihrem Handy anzuschauen.
Dabei könnte das Internet eigentlich der Schlüssel sein: ein Ort, an dem alle gleichberechtigt sind und alle ihre Erfahrungen teilen können. Wo Gelerntes gespeichert und geteilt werden kann. Worüber wir kommunizieren, uns austauschen, bessere Lösungen finden, Gleichberechtigung vorantreiben, Pläne schmieden und digitale Ressourcen frei verteilen können.
Gleichzeitig produzieren wir, du und ich, Unmengen an Daten, auf die wir immer und überall zugreifen können wollen. Wie als ob wir unseren Hausstand überall mit hintragen würden, laden wir einfach alles in die Cloud. Nur für den Fall, dass wir es irgendwann mal wieder brauchen sollten. Klar, das macht einiges einfacher, es ist aber auch verdammt verschwenderisch. Denn jedes Foto in der Cloud bedeutet zwar ein Foto weniger im analogen Fotoalbum, aber eben auch echte MBs, die irgendwo auf einer physischen Festplatte gespeichert werden müssen. Das verbraucht eine große Menge Strom und andere Ressourcen für Serverfarms und Infrastruktur. Wo Chancen sind, sind eben oft auch Gefahren. Das Internet hält beides bereit, machen wir das Beste draus. Wer biologisches Essen einkauft und seinen Konsum auf ein Minimum reduziert, sollte auch seinen Besitz online reduzieren, denn wer A sagt muss auch B sagen – ich auch.
Es ist nicht alles verloren, es ist auch nicht alles schlecht, aber irgendwer muss den Anfang machen.
Kurzbiographie Simon Freund:
Geboren 1990 in Königstein im Taunus, lebt Simon Freund seit Januar 2021 „ohne festen Wohnsitz“ und arbeitet überwiegend in Deutschland. 2021 absolviert er sein Studium der freien Kunst an der Akademie der Bildenden Künste München sowie an der Royal Academy of Fine Arts (KASK) in Gent, Belgien. Freunds Arbeiten befassen sich intensiv mit den Herausforderungen unserer Konsumgesellschaft und kritisieren auf subtile und zurückhaltende Weise den Status Quo. Hierbei fügen sich die Arbeiten ästhetisch lückenlos in eben diese Konsumgesellschaft ein.
Verweise:
https://simonfreund.com/black-friday-2018
simonfreund.com/selbstportrait